(Wir arbeiten; 02-03; S.3)
Strukturelle Veränderungen
Seit den achtziger Jahren ereigneten sich strukturelle
Veränderungen, deren Folgen heute noch wirksam sind und der politischen
Bearbeitung harren.
Um es mit dem Historiker E. Hobsbawm zu sagen:
"In der Stahlindustrie der USA arbeiteten mittlerweile
weniger Menschen als in den 'Hamburger'-Gaststätten von McDonald's."
(Hobsbawm, E.: Das Zeitalter der Extreme, München u. Wien
1995, S. 381f.)
Das Zitat wurde gewählt weil es auf zweierlei hinweist: dem globalen
Ausmaß der Veränderungen - die USA wie eben auch andere Industriestaaten
durchleben diese Entwicklung -, zum anderen der Ungleichzeitigkeit
der Entwicklungen - der geschilderte Strukturwandel von blühender
Industrie zum "Rostgürtel" begann in den USA bereits
in den 1960er Jahren, in der BRD in den 1970ern und in Ostmittel-
und Osteuropa nach 1991. (Hobsbawm weist auf beide Dimensionen
der Veränderung hin, vgl. ebd., S. 380-384.)
Mit dem Beginn der "chip and data-processing
revolution" trat eine weitere Dimension hinzu: die der Entwertung
überkommener Fertigkeiten von Facharbeitern in der Industrie und
bei den Dienstleistungen.
Um noch einmal Hobsbawm zu zitieren: "Das Idealergebnis
war eine vollständig idiotensichere Reihe von Knöpfen oder eine
Tastatur, die nichts weiter erforderte, als auf die richtige Stelle
zu drücken, um einen automatisch ablaufenden, selbstregulierenden
und so weit wie möglich auch eigenständige Entscheidungen fällenden
Prozeß in Gang zu setzen, der den begrenzten und unzuverlässigen
Fähigkeiten und der Intelligenz des Durchschnittsmenschen keinerlei
zusätzliche Aktivitäten abverlangte. Idealerweise konnte das Prozedere
von vornherein sogar so programmiert werden, daß es sogar überhaupt
keines menschlichen Eingriffs mehr bedurfte, außer wenn irgendwas
schieflaufen sollte." (Ebd., S. 651)
- Ein im wahren Sinne des Wortes sprechendes Beispiel sind die
so genannten telefonischen Auskunft-Automaten; solange ein Anrufer
reagiert, wie vom Programmierer vorgesehen, kommt er mit einem
Mitarbeiter des Dienstleistungsanbieters nicht in Kontakt. Es
zeigt zudem, dass die von Hobsbawm skizzierte Entwicklung sich
nicht auf die Industrie beschränkt, sondern soweit technisch realisierbar,
immer weitere Bereiche des Dienstleistungssektors einschließt.
Damit wird aber genau die fordistisch geprägte
Wirkungskette nicht länger anwendbar. Unternehmen, deren größter
Vermögensteil im Maschinenpark bzw. der Computerhalle besteht,
können prinzipiell immer weniger Beschäftigte an den erwirtschafteten
Gewinnen beteiligen.
Ein möglicher Ausweg besteht in der Verringerung
der Abhängigkeit des Einkommens von der Erwerbsarbeit: Arbeitnehmer
sollen am Vermögen von Unternehmen beteiligt werden, z.B. in Form
von Aktien, betrieblichen Rentenkassen usw. oder staatliche Zuschüsse
z.B. in Form von "negativer Einkommensteuer" oder anderen
Sozialleistungen bekommen.
Ersteres überwälzt das unternehmerische Risiko auf die Arbeitnehmer,
d.h. nicht nur bei spektakulären Betrügereien wie im Falle Enron
erhält der Arbeitnehmer die Früchte seiner Arbeit nach jeweiliger
Marktlage. Letzteres stellt den Staat vor die Aufgabe, genügend
Einnahmen zu bekommen, um die Sozialleistungen zu finanzieren.
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