(Soziale Gerechtigkeit; 04-02; S.2)
Vormoderne Konzepte
Antike und mittelalterliche Denker gingen von
einem Menschen- und Gesellschaftsbild aus, welches sich stark
von den heutigen unterscheidet. Folglich sind Gerechtigkeitsvorstellungen
z.B. von Aristoteles oder Thomas von Aquin höchstens in einzelnen
Aspekten den modernen ähnlich.
Erst mit der Aufklärung und damit verbunden der Französischen
Revolution setzte sich ein Menschenbild durch, welches jedem Individuum
bestimmte Rechte von Natur aus zuschrieb, d.h., die sich aus der
Natur des Menschseins ergeben.
Im Laufe des neunzehnten Jahrhunderts wurden
Fragen gesellschaftlicher Gerechtigkeit für immer mehr Menschen
alltäglich relevant: die zunächst weitgehend nicht durch Regeln
beschränkte Industrialisierung führte zur Verelendung bislang
selbstversorgend wirtschaftender Teile der Bevölkerung.
Die sich somit ergebende "soziale Frage" harrte also
legitimierender Antworten. Sozialwissenschaften, die sich speziell
dieser Frage widmeten, gab es höchstens im Anfangsstadium, die
"Entdeckung der Gesellschaft" (so eine Kapitelüberschrift
in K. Polanyi: The great transformation, zweite Aufl. Frankfurt
am Main, 1990 [Original: New York u.a., 1944]) begann erst.
Gefragt waren daher zunächst jene, die traditionell durch die
Vermittlung von Weltbildern sowohl individuellen Trost spendeten
als auch Herrschaft legitimierten: die christlichen Kirchen, in
Deutschland gespalten in protestantische Mehrheit und römisch-katholische
Minderheit. (weiter geht's hier)