(Föderale Gesetzgebung; 06-02; S.4)
Die Rechtsauffassung, dass die zweite Abstimmungsrunde
nicht stattgefunden habe, "weil der Bundesratspräsident zu
einer Nachfrage nicht, und schon gar nicht in der Form, in der
sie erfolgt ist, berechtigt gewesen ... sei" (Abs. 155) könne
hinsichtlich der Berechtigung "nicht überzeugen" (Abs.
170); die dabei implizierte Unterstellung der Parteilichkeit sei
"unzutreffend" (ebd.).
Indirekt kann man die Unzulässigkeit des Schlusses
der Richtermehrheit beweisen, indem zunächst von folgender Form
des Gedankengangs ausgegangen wird:
A) Wenn nachgefragt wird, haben die Befragten die Möglichkeit
zur Korrektur der abgegebenen Stimmen;
B) Die Nachfrage war nicht berechtigt;
A+B) Also war die Korrektur der abgegebenen Stimmen unberechtigt (vgl. Abs. 169).
- In dieser Form ist der Schluss nicht korrekt, der Fehlschluss
der Verneinung des Antezedenz wird begangen: bloß weil eine von
vielleicht mehreren möglichen Voraussetzungen (A) nicht gegeben
ist, heißt das nicht, dass die Folge (A+B) nicht vorliegt.
Die genannte Voraussetzung wird von der Richtermehrheit in folgender
Weise eingeschränkt: anstelle von "wenn nachgefragt wird",
setzen sie "ausschließlich wenn berechtigt nachgefragt wird"
(vgl. ebd.). - So wird der eben beschriebene Schluss zwar korrekt;
die Einschränkung ist jedoch nach Auffassung der Minderheit nicht
zulässig: Das Recht zur Korrektur der abgegebenen Stimmen könne
zwar "verletzt, aber gerade nicht vernichtet werden"
(ebd.).
Zudem habe ein Land bis zum Ende der Abstimmung die Möglichkeit
zur Korrektur der abgegebenen Stimmen (Abs. 167) und der Bundesratspräsident dürfe
davon ausgehen, dass ein Land abstimmen will; eine unverlangte
Nachfrage sei daher zulässig und nicht parteilich (Abs. 170).
Das von der Richtermehrheit aufgestellte Kriterium
der Nicht-Zulässigkeit der Nachfrage des Bundestagspräsidenten,
falls absehbar sei, dass während der Sitzung nicht geklärt werden
könne, ob eine Stimmabgabe einheitlich erfolgt (Abs. 143), sei
zudem "alles andere als klar und daher als verfassungsrechtlicher
Maßstab für das Verhalten des Bundesratspräsidenten ungeeignet"
(Abs. 172, vgl. zudem Abs. 171).
Die mit der Nachfrage des Bundesratspräsidenten
eröffnete zweite Abstimmungsrunde habe mit einer Zustimmung des
Vertreters des Landes Brandenburgs, Ministerpräsident Stolpe geendet;
"eine Nein-Stimme wurde nicht mehr abgegeben" (Abs.
177), da die Äußerung eines weiteren brandenburgischen Landesvertreters,
Minister Schönbohm, nicht als eindeutige Stimmabgabe bewertbar
sei (Abs. 178f.) (weiter geht's hier)